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"Wir sehen uns lieber als ewige Opfer, als dass wir uns kritisch hinterfragen"

| Helene Aecherli | Blog
"Wir sehen uns lieber als ewige Opfer, als dass wir uns kritisch hinterfragen"

EX-FEMEN AKTIVISTIN UND ISLAMKRITIKERIN ZANA RAMADANI

Sie war Femen-Aktivistin und ist heute eine der polarisierendsten Islamkritikerinnen Deutschlands. In ihrem Buch «Die verschleierte Gefahr» beschreibt Zana Ramadani, wie Toleranz und politische Korrektheit Islamisten wie Rechtspopulisten in die Hände spielen. Dabei geht sie gerade mit Feministinnen hart ins Gericht. 

Jörg Schulz /Chuck Knox Photography

Zana Ramadani, Ihr Buch ist eine Kritik am Toleranzverständnis der westlichen Gesellschaft, allen voran der deutschen. Es ist ein überraschend zorniges Buch. Oder täuscht dieser Eindruck?

Zana Ramadani: Ganz und gar nicht. Ich bin sehr wütend. Doch Zorn ist nötig, wenn man etwas verändern will. Zorn verpflichtet einen, die Dinge genauer anzusehen und dann auch zu handeln. Wäre ich nicht zornig, wäre ich wohl gleichgültig.

Was ist die Ursache Ihres Zorns?

Ausschlaggebend ist, dass Frauen wie ich, die unter religiösen Zwängen leiden oder gelitten haben, ausgerechnet vom Westen nicht vor diesen Unterdrückungsmechanismen geschützt werden. So werden etwa rigide Moralvorstellungen oder der Druck, ein Kopftuch zu tragen, kaum kritisch hinterfragt, sondern oft als kulturbedingt beschönigt. Damit tritt der Westen die Errungenschaft einer humanistisch aufgeklärten Welt mit Füssen. Das kann mich ja nur wütend machen.

Bevor wir hier weiterfahren, erklären Sie bitte: Was meinen Sie mit «eine Frau wie mich»?

Eine junge Migrantin aus einem islamisch geprägten Land, die schon als Kind gegen Unterdrückung gekämpft hat. Ich bin in Mazedonien geboren, kam als 7-jähriges Mädchen mit meinen Eltern nach Deutschland. Mein Vater hat sich sofort integriert. Meine Mutter hingegen ist durch den Wegzug aus der Heimat «radikalisiert» worden. Das heisst, sie flüchtete sich aus Angst vor der unbekannten neuen Heimat in die Religionsinhalte, die sie seit ihrer Kindheit kannte. Die gaben ihr Sicherheit. Gleichzeitig wuchs ihre Angst, dass ich, ihre Tochter, den Moralvorstellungen, die sie im Kopf hatte, und der Welt, aus der wir kamen, nicht mehr gerecht werden könnte. Die Gefahr, dass ich die Jungfräulichkeit verlieren und unehrenhaft werden könnte, erschien ihr in Deutschland viel grösser als zuhause. Folglich überwachte sie mich, wo sie konnte, und schlug mich, wenn sie das Gefühl hatte, dass ich mich danebenbenahm.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe schon als junges Mädchen begriffen, dass ich anders behandelt werde als Buben. Ich hatte einen Cousin, der durfte tun und lassen, was er wollte. Selbst wenn er herumbrüllte wie ein Wahnsinniger, wurde er entschuldigt. Als mein Bruder zur Welt kam, da war ich neun Jahre alt, fingen die grossen Unterschiede an. Was auch immer er tat, es war okay, geschlagen wurde auch er nie. Habe ich jedoch nur schief geguckt, mich beschwert oder wollte mit den Jungs spielen, zerrte mich meine Mutter weg. «Das machen Mädchen nicht», sagte sie, «benimm dich nicht wie eine Hure!»

Sie erklären in Ihrem Buch, dass Sie realisierten, dass Ihnen die Mutter für alles die Schuld gab.

Meine Mutter hat mich verantwortlich dafür gemacht, dass ich als erstgeborenes Kind ein Mädchen war. Deshalb war ihre Stellung innerhalb des Clans niedriger als jene ihrer jüngeren Schwester. Die genoss einen höheren Status, weil sie als erstes Kind einen Jungen zur Welt gebracht hatte. Aber irgendwann reagierte ich mit Trotz darauf. Ich spielte erst recht draussen mit den Jungs, obwohl ich danach oft so verprügelt wurde, dass ich zwei Tage lang nicht mehr sitzen konnte.

Was war mit Ihrem Vater?

Er hat mich nie geschlagen, hat sich aber auch nie eingemischt.

Eine anthropologische These besagt, dass Mütter ihren tiefen gesellschaftlichen Status häufig mit Dominanz kompensieren, um innerhalb des patriarchalen Systems an Bedeutung zu gewinnen. Nüchtern gesehen, ist Ihre Mutter eine Handlangerin, vielleicht sogar ein Opfer patriarchaler Strukturen.

Klar. Es gibt aber nicht einfach nur Täter und Opfer. Frauen in islamischen Gesellschaften haben in ihren Familien eine grosse Macht. Sie geben die Werte und Moralvorstellungen an die nächste Generation weiter. Also sind sie mitverantwortlich dafür, wie sich die nächsten Generationen entwickeln.

Sie werfen muslimischen Müttern vor, ihre Söhne zu Versagern zu erziehen. Eine gewagte Aussage.

Wieso? Ich habe es ja selber miterlebt, wie Jungs verwöhnt, bedient und damit letztlich zu Versagern erzogen werden. Das hat zur Folge, dass viele junge Männer scheitern, wenn sie mit dem Leistungsdruck der westlichen Gesellschaft konfrontiert werden. Sie haben nicht gelernt, dass etwas von ihnen verlangt wird.

Worin sehen Sie hier den expliziten Einfluss des Islam?

Alle monotheistischen Religionen frönen dem Söhnchenkult. Doch haben sich in der westlichen Welt die meisten Christen von negativen Religionsinhalten emanzipiert. Solange man aber mit dem Koran und den Hadithen, den Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed, Geschlechterapartheid und Gewalt rechtfertigen kann, hat das alles etwas mit dem Islam zu tun und muss auch so benannt werden.

Der Genderfeminismus ist problematisch, weil er Missstände nicht klar benennt und stark kulturrelativistisch argumentiert.

«Die Muslime» oder «den Islam» gibt es ebenso wenig wie «die Christen» oder «das Christentum». Die religiöse Ausrichtung wird von kulturellen, ethnischen und individuellen Einflüssen geprägt. Machen Sie es sich mit diesen Pauschalisierungen nicht zu einfach?

Nein, ich pauschalisiere nicht. Die Geschlechterapartheid, der Stellenwert von Mann und Frau, festgeschriebene Rollenbilder sowie die Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen sind in jedem islamisch geprägten Land dieselben - egal ob in der Türkei, im Iran, in Afghanistan, Pakistan, Mazedonien oder Albanien. Natürlich ist es von Familie zu Familie verschieden, wie konsequent diese Werte gelebt werden. Aber jede Familie hat zumindest ein Familienmitglied beziehungsweise kennt mindestens eine Familie, die genauso lebt und handelt. Wenn ich das nun verharmlose, sage: «Ist doch nicht so schlimm, das haben wir ja schliesslich auch in anderen Religionen», dann relativiere ich das Problem und kann es nicht bekämpfen.

Sie wehren sich gegen das Credo «Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun» und gehen in dieser Beziehung gerade mit Feministinnen hart ins Gericht. Warum?

Ich habe ein ganz grosses Problem mit dem neuen Feminismus, der besonders von jungen Frauen gelebt wird. Ich nenne ihn Genderfeminismus. Ich empfinde ihn als elitär, denn die meisten Protagonistinnen sind frisch geschlüpfte Uniküken, die im Prinzip noch nie wirklich gearbeitet haben, sich nicht wirklich durchkämpfen mussten, aber so tun, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Der Genderfeminismus ist problematisch, weil er Missstände nicht klar benennt und stark kulturrelativistisch argumentiert; das heisst, er scheut davor zurück, alles zu kritisieren, was NICHT unsere weisse westliche Kultur oder besser gesagt den weissen, westlichen Mann betrifft - denn das gilt dann als Rassismus. Das grösste Problem ist, dass mich diese jungen Feministinnen in meiner Meinungsfreiheit einschränken.

Geben Sie mir bitte ein Beispiel.

Ich rede über das islamische Kopftuch und sage, dass ich es komplett ablehne. Das macht mich in den Augen jener jungen Feministinnen zur populistischen Rassistin, mehr noch, sie sagen mir, dass solche Frauen wie ich Einzelfälle seien. Es kommen keine vernünftigen Gegenargumente, mit denen ich mich auseinandersetzen könnte, sondern man schwingt gleich die Nazikeule oder das Totschlagargument Islamophobie, das auch von Islamisten vorgebracht wird, um Kritik im Keim zu ersticken. Das soll auch Frauen wie mich zum Schweigen bringen. Ich habe aber dank des Urfeminimus gelernt, dass ich hier im Westen über alles reden, alles kritisieren kann, ohne riskieren zu müssen, geschlagen oder gar getötet zu werden.

Was verstehen Sie unter Urfeminismus?

In erster Linie einen sozialen Kampf: einen Kampf um die Aufhebung der konventionellen Geschlechterrollen und vor allem einen Kampf um Menschenrechte.

Herrscht ein Machtkampf zwischen dem Urfeminismus und dem jungen Feminismus?

Ich sehe das so, ja. Es gibt manche feministische Bloggerinnen, die den Urfeminismus als naiv und rückständig verurteilen. Feministinnen wie Alice Schwarzer, die nicht ihre Ansichten teilen, werden als Rassistinnen gebrandmarkt. Ich empfinde das als Undankbarkeit; es war schliesslich gerade der politische Kampf der Urfeministinnen, der es uns jungen Frauen erlaubt hat, frei zu leben, den Mund zu öffnen und täglich unsere Hashtags zu erfinden. Ich sage deshalb: Wir brauchen mehr Urfeminismus und weniger Hashtag-Feminismus.

Wie erklären Sie sich den Kulturrelativismus mancher jungen Feministin?

Ich denke, dass sich in Deutschland viele junge Frauen schuldig und mitverantwortlich fühlen für die Geschichte des Holocaust. Es ist quasi eine kollektive Schuld, die noch immer mitschwingt. Das ist wichtig, die Erinnerung daran muss hochgehalten werden. Dafür scheint die Political Correctness eine geeignete Leitplanke zu sein. Paradoxerweise werden damit aber auch unsere Werte und Rechte mit Füssen getreten. Political Correctness, Islamismus, Rechts- und Linkspopulismus, das alles geht Hand in Hand. Hierbei spielt der Genderfeminismus eine grosse Rolle. Denn anstatt dass er die Rebellion der Frauen wieder lebendiger macht und für mehr kontroverse Debatten sorgt, bewirkt er genau das Gegenteil.

Wir brauchen mehr Urfeminismus und weniger Hashtag-Feminismus.

Sie werfen den jungen Feministinnen gar vor, Islamisten und Rechtspopulisten in die Hände zu spielen. Inwiefern?

Allein schon durch die Sprechverbote. Denn damit werden heikle, aber zwingende Debatten den Rechtspopulisten überlassen. Die äussern ihre Meinung unverfroren. Das ist im Prinzip richtig, sie haben - genauso wie Islamisten auch - das Recht, ihre Meinung zu äussern. Nur sind viele Rechtspopulisten tatsächlich rassistisch, ihr Ton wird angesichts der Flüchtlingsbewegungen immer aggressiver. Wenn etwa Pegida zu Gewalt aufruft oder Muslime als Dreckspack betitelt, das mit Heugabeln aus dem Land vertrieben werden muss, ist das gefährlich. Und aus den Ressentiments, die dadurch unter Muslimen erzeugt werden, nähren sich wiederum die radikalen Islamisten.

Wie grenzen Sie sich vom Rechtspopulismus ab?

In der Art und Weise, wie ich etwas ausspreche und mit welchem Ziel. Wenn jemand zum Beispiel sagt: «Ich sehe eine Menge Schwarzafrikaner, wir haben auf einmal 5000 Migranten in unserer Gemeinde. Ich mache mir Sorgen um meine Tochter und meine Frau.» Das darf geäussert werden. Migranten haben ja auch Vorbehalt der westlichen Gesellschaft gegenüber und machen sich Gedanken darüber, ob ihre Kultur zur westlichen passt. Jeder hat Ängste, die soll man zum Ausdruck bringen können.

Immer wieder ist zu hören, dass die politische Linke darin versagt hat, Themen anzusprechen, die weiten Teilen der Bevölkerung Angst machen. Was sagen Sie dazu?

Die politische Linke war für mich früher immer eine Bewegung, die soziale Ungerechtigkeiten bekämpft und Problematiken klar benannt hat. In Deutschland hat sich das in den letzten fünf Jahren komplett verändert. Heute tun sie genau das Gegenteil. Sie weisen zwar auf den Rassismus der westlichen Welt hin, leugnen aber den Rassismus von Migranten gegenüber der westlichen Welt. Das ist Feigheit, vielleicht auch Gleichgültigkeit oder Verblendung.

Dieselbe Kritik lässt sich auch gegenüber Muslimen äussern. Eine offene, selbstkritische Auseinandersetzung über Missstände, etwa die Gewaltverherrlichung im Islam, findet kaum statt.

Natürlich nicht. Bei uns Muslimen ist es tief verwurzelt, dass Muslime andere Muslime nicht kritisieren dürfen. Wir sehen uns lieber als ewige Opfer, als dass wir uns kritisch hinterfragen. Kritikerinnen und Kritiker gibt es zwar immer mehr, sie gelten aber als Nestbeschmutzer und werden nicht selten mit dem Tod bedroht. Der Punkt ist jedoch: Eine Gesellschaft vermag sich nur von innen heraus zu emanzipieren. Die westliche Welt kann uns bei unseren Emanzipationsbestrebungen unterstützen, aber sie kann sie uns nicht abnehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass jene, die versuchen, kritische Diskussionen entstehen zu lassen, nicht von der Political Correctness mundtot gemacht, sondern unterstützt werden.

In den Debatten um den Islam rücken die nationalen Zugehörigkeiten in den Hintergrund, «Muslim Sein» wird zum identitätsstiftenden Faktor, was wiederum den Islamismus befeuert. Das ist besorgniserregend.

Ja. Es ist mehr als besorgniserregend. Denn dieser derzeit auf der ganzen Welt vorherrschende radikale politische Islam ist brandgefährlich. Solange dieser politische Islam von der Mehrheit der Muslime nicht offen bekämpft wird, können wir hier nicht mehr unterscheiden, ob es sich beim Islam um eine rein spirituelle, gläubige «Muslim Sein»-Identität handelt oder um eine politische, die mit Spiritualität nichts zu tun hat.

Warum ist die islamistische Ideologie für sehr viele Menschen so attraktiv?

Ich denke, einer der Hauptgründe hierfür ist der ständige Identitätskonflikt, die religiös begründete Opferrolle, in die sich viele Muslime hineinmanövriert haben und mit der sie ihr eigenes gesellschaftliches Versagen rechtfertigen, vor allem aber die Suche nach Ordnung, Halt und Anerkennung. Mit diesen Voraussetzungen landet man schnell bei den islamistischen Rattenfängern und ihrer Ideologie, die einem klare Regeln, einen starken sozialen Zusammenhalt sowie Anerkennung und Wertschätzung bietet.

Sie sagen, das Kopftuch ist das Leichentuch einer freien Gesellschaft. Dies ist nun aber pure Polemik, oder?

Warum? Sobald sich eine Frau entweiblichen muss, um nicht als sexueller Reiz, sondern als Mensch wahrgenommen zu werden, ist das doch eine Bankrotterklärung der freien Gesellschaft. Kopftuchlobbyistinnen sagen zwar: «Ja, das Kopftuch ist eine freie Wahl. Ich trage mein Kopftuch, um als Mensch wahrgenommen zu werden, und ich zeige damit auch, dass ich nicht belästigt werden will.» Das bedeutet für mich: «Wenn ich mein Haar nicht bedecke, bin ich ein sexueller Reiz. Werde ich als Frau nicht ernst genommen, angegriffen oder vergewaltigt, bin ich selber schuld. Ich hätte ja die Wahl gehabt.» Unterstütze ich diese Propaganda, trete ich jegliche Emanzipationsbemühungen mit Füssen. Haben wir dafür jahrzehntelang gekämpft?

Trotzdem: Agieren Sie mit solchen Aussagen nicht kontraproduktiv? Damit werden Sie wohl selbst liberale Musliminnen vor den Kopf stossen.

Das sehe ich nicht so. Ich bin bereit, die Gefühle von einigen Frauen zu verletzen, wenn ich dadurch die Aufmerksamkeit auf jene Frauen richten kann, die nicht im Westen leben, sondern etwa im Iran oder in Saudiarabien und somit keine Wahl haben.

Es gibt aber in der Tat Frauen, die das Kopftuch freiwillig tragen.
Natürlich, es gibt auch freiwillige Prostituierte, die sich selber zur Ware machen. Die Frauen, die auf Kritik beleidigt reagieren, sind ja meistens auch die lautesten. Jene aber, auf deren Unterdrückung ich hinweise, haben kaum die Möglichkeit, den Mund aufzumachen.

Es gibt mittlerweile Designer, die sagen: Der Hijab sei der neue Minijupe. Was halten Sie davon?

Spätestens dann, wenn sich eine Frau mit einem hochgewundenen Kopftuch stylt, dazu noch extrem enge Hosen trägt und sich auffallend stark schminkt und auch Fotos von sich postet, ist das Kopftuch für mich kein Zeichen mehr von Glaube und Spiritualität, sondern ein politisches Statement. Mehr noch: Es ist ein Zeichen dafür, dass sie sich über die unverschleierte Frau erheben.

Elham Manea, schweizerisch-jemenitische Politologin und eine der renommiertesten Kritikerinnen des islamischen Fundamentalismus, plädiert für ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen.

Das unterstütze ich unbedingt. Wenigstens dort sollen muslimische Mädchen frei sein können. Für Minderjährige sollte es sowieso verboten sein. Zieht man einer 9-jährigen das Kopftuch an, sexualisiert man sie, dabei ist sie noch ein Kind. Es macht mich wütend, wenn man da vor lauter Toleranz die Zusammenhänge nicht sieht.

In der Schweiz werden derzeit Unterschriften für ein Burka-Verbot gesammelt. Ihre Meinung dazu?

Ich bin auf jeden Fall dafür, dass man die sogenannte Burka verbietet. Religion muss Privatsache bleiben. Wir haben in Deutschland ein Vermummungsverbot. Warum sollte dieses Verbot nicht gelten, nur weil man es auf einmal mit Religionsfreiheit aushebeln kann?

Zieht man einer 9-jährigen das Kopftuch an, sexualisiert man sie, dabei ist sie noch ein Kind.

Sie haben sich vom Islam emanzipiert. Fühlen Sie sich dem Islam noch zugehörig, oder zählen Sie sich zur immer grösser werdenden Gruppe der Ex-Muslime?

Ich wurde in eine muslimische Familie hineingeboren und sozialisiert. Aber ich habe mich nie 100 prozentig zum Islam bekannt, weil ich nie verstehen konnte, warum man diese Ungleichheit und diese Verachtung, die man Frauen entgegenbringt, mit Religion begründet. Und so lang man das mit Religion begründen kann, ist der Islam für mich kein rein spiritueller Glaube, sondern ein politisches System, eine Ideologie.

Sie waren Gründungsmitglied der Aktivistinnengruppe Femen. War dies ein Akt der Rebellion gegen die Hypersexualisierung, die Sie in Ihrer muslimischen Erziehung erfahren haben?

Für mich war es nicht nur eine Rebellion gegen den Islam, sondern ein Akt gegen die patriarchale Gesellschaft per se. Es ist ja so, dass das Patriarchat gerade die Nacktheit der Frau als Symbol der Freiheit benutzt. Ich wollte dem Patriarchat diese Nacktheit wieder entreissen und zu dem machen, was sie ist: hart kämpfend, stark und natürlich. Die Weiblichkeit auf diese harte und doch schutzlose Weise zu nutzen, war eine neue Ausdrucksform meiner politischen Arbeit.

Als Femen-Aktivistin haben Sie bei «Germany’s Next Topmodel» die Bühne gestürmt, jetzt haben Sie der Organisation abgeschworen. Warum?

In Deutschland war es so, dass sich nur noch Frauen für Femen interessiert haben, die Covergirls werden wollten. Sie weigerten sich, an kleinen Podien teilnehmen oder mit Zeitungen zu reden, die eine kleine Auflage haben. Das war kein Aktivismus mehr. Sie haben aber auch aktiv zu Gewalt aufgerufen. Damit wollte ich nichts zu tun haben. Gewalt ist nie eine Lösung.

Der Sexismus bei GNTM, behaupten Sie, unterscheide sich kaum vom islamischen Frauenbild. Weshalb?

GNTM stellt junge Mädchen hochsexualisiert auf die Bühne und gibt ihnen zu verstehen: Je schöner und schlanker du bist und je mehr du heulst, umso wertvoller bist du als Frau. Das ist im Grunde ein ähnliches Prinzip wie in der islamischen Welt. Da wird den Mädchen gesagt: Wenn du dich züchtig verhältst, den Mund nicht aufmachst und für deinen Mann immer schön aussiehst, dann bist du eine perfekte Frau.

Sie propagieren die Integration von Flüchtlingen via Frauen. Wie stellen Sie sich das vor?

Ich stelle mir vor, dass es spezielle Pflichtkurse für Migrantinnen gibt, in denen sie Rechtskunde- und Sexualkundeunterricht erhalten, Erziehungsfragen ansprechen können und über die westliche Frauenbewegung und ihre Errungenschaften informiert werden. In meinem Buch nenne ich sie Feminismuskurse. Zudem muss der Zugang zur Arbeit erleichtert werden. Frauen sind der Schlüssel zur Familie. Wenn sie erkennen, dass es eine andere Welt gibt als jene, die in Tradition, Pflicht und Ehre erstarrt ist, und dass sie keineswegs des Teufels ist, besteht für ihre Töchter und Söhne die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Erziehung.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter heute?

Wir haben seit langem wieder Kontakt zueinander. Ich habe verstanden, weshalb sie sich mir gegenüber so verhalten hat, und kann mich innerlich davor schützen. Wenn sie mich wieder beschimpft oder mir Vorwürfe macht, rede ich eine Zeitlang nicht mit ihr. Sie weiss aber, dass sie sich wieder melden darf, sobald sie sich wieder benehmen kann. Sie muss sich nicht entschuldigen, in unserem Kulturkreis entschuldigt man sich nicht, es wird auch nichts ausdiskutiert, man redet nicht über Gefühle, sondern schweigt darüber. Mittlerweile komme ich aber ganz gut klar damit.

Zana Ramadani (33) wurde in Skopje, Mazedonien, geboren, kam mit 7 Jahren nach Deutschland und ist seit 2009 deutsche Staatsbürgerin. Mit 18 Jahren floh sie ins Frauenhaus, weil sie fürchtete, ihre beiden Onkel würden sie zur Wahrung der Familienehre nach Mazedonien zurückentführen. Ramadani arbeitete als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, studierte Rechts- und Politikwissenschaft und Soziologie. Sie ist Mitbegründerin von Femen Deutschland und Mitglied der CDU. Dies, weil sie «das C schätze, die christlichen Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit.» Ihr Ziel ist, eines Tages in den Bundestag gewählt zu werden. Im Juli ist sie Mutter einer Tochter geworden.

Kommentar

Die Stimmen in Europa, die vor dem politischen Islam warnen, mehren sich, allen voran jene aus dem islamischen Kulturkreis selbst - und sie sind populär. So hat etwa der in Deutschland lebende ägyptische Islamkritiker und Buchautor Hamed Abdel-Samad längst einen Starstatus erreicht, der weit über die Grenzen hinausreicht. Mit ihrem Buch «Die verschleierte Gefahr. Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen» präsentiert sich nun auch die gebürtige Mazedonierin Zana Ramadani mit ihrer Islamkritik einer breiten Öffentlichkeit. Wie Hamed Abdel-Samad prangert Zana Ramadani religiöse Dogmen an und verurteilt den Kulturrelativismus, die Toleranz sowie die Political Correctness der westlichen Gesellschaften als Ursachen für die rasche Verbreitung des politischen Islam. Darüber hinaus fordert sie von Muslimen selbst eine konsequente, reformorientierte Auseinandersetzung mit ihrer Religion und macht sich für einen säkularen Rechtsstaat stark, der Meinungsfreiheit und die Selbstbestimmung des Individuums als Grundrechte hochhält.

Die Kritik beider Autoren gründet zum grossen Teil in traumatischen Erfahrungen, die sie als Kinder und Jugendliche in ihrem islamischen Umfeld gemacht haben. Einem Umfeld, das oft, wie es die ägyptisch-amerikanische Journalistin Mona Eltahawy ausdrückt, geprägt ist von der «toxischen Mischung aus Religion, Tradition und Patriarchat.» Dieses eigene Erleben macht Zana Ramadani und Hamed Abdel-Samad gleichzeitig zu Zeugen und Experten ihrer Botschaft. Ihrer Islamkritik inhärent ist jedoch eine fast schon unverfrorene Radikalität und dogmatische Unversöhnlichkeit, die stark polarisiert und die Fronten eher verhärtet als aufweicht.

Nichtdestotrotz ist diese Eisbrechermentalität wichtig. Denn so unangenehm sie für manche auch sein mag, sie fordert heraus, liefert Denkanstösse und weist mutig auf gesellschaftliche Missstände hin, die es zu beachten und anzusprechen gilt. Dies wiederum kann eine nachhaltig konstruktive Debatte beflügeln.

– Zana Ramadani: Die verschleierte Gefahr. Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen. Europa Verlag, 2017, 262 Seiten

Dieses Interview erschien auf annabelle.ch