Frauen im Iran wollen keine weiteren Revolutionen, sondern Reformen
FRAUENRECHTE IM IRAN
Entgegen der Versprechen des wieder gewählten Präsidenten Hassan Rohani, bleibt die iranische Regierung fest in Männerhand. Der Kampf der Iranerinnen um Gleichstellung und politische Mitsprache geht aber unvermindert weiter. Jetzt erst recht. Doch ist dieser Kampf eine Gratwanderung. "Denn durch die Kontrolle der Frauen mithilfe Scharia-basierter Gesetze wird das Gebilde der islamischen Nation aufrechterhalten", erklärt Leila Alikarami, eine der führenden iranischen Menschenrechtsanwältinnen. "Mit anderen Worten: Frauen sind die einzigen sichtbaren Wesensmerkmale dieser islamischen Regierung. Deshalb gelten Gleichstellungsfragen schnell als Bedrohung der nationalen Sicherheit."
Leila Alikarami
Leila Alikarami, entgegen aller Versprechen, mehr Frauen in seine Regierung zu holen, hat der neugewählte Präsident Hassan Rohani keine einzige Frau nominiert. Im neuen Ministerium werden Männer unter sich bleiben. Wie enttäuscht sind Sie?
Ich bin sehr enttäuscht. Es gab zwar von Anfang an Zweifel daran, dass Rohani wirklich etwas an der politischen Partizipation der Frauen liegt. Mit seinem Entscheid, sein Ministerium nur mit Männern zu besetzen, hat er klar gemacht, dass er die Versprechen für politische Chancengleichheit im diesjährigen Wahlkampf nur benutzte, um mehr Stimmen und Glaubwürdigkeit zu erhalten. Die hat er nun wohl verspielt.
Ausgerechnet sein Vorgänger, der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad, hatte mit Marzieh Vahid-Dastjerdi erstmals eine Frau in die Regierung berufen und sie zur Gesundheitsministerin ernannt. Warum konnte oder wollte Rohani nicht dort anknüpfen?
Ich denke, dass es Rohani letztendlich an politischem Willen fehlt. Dennoch hätte er zumindest versuchen sollen, seine Versprechen einzuhalten. Frauenrechtlerinnen hatten im Vorfeld der Wahl den grassierenden Mangel an Frauen in politischen Gremien kritisiert und eine Erklärung veröffentlicht, in der sie einen Frauenanteil im Kabinett von mindestens dreissig Prozent forderten. Das schürte grosse Hoffnungen. Wir haben so viele talentierte Frauen, die für einen Posten im Ministerium qualifiziert sind. Doch nun findet man nicht einmal EINE. 38 Jahre nach der Revolution spielen Frauen noch immer keine aktive Rolle in der nationalen Politik. Das ist inakzeptabel und beschämend. Nicht nur für die iranischen Frauen, sondern für die ganze Nation.
Wir haben so viele talentierte Frauen, die für einen Posten im Ministerium qualifiziert sind. Doch nun findet man nicht einmal eine.
Heisst dies nun für Frauenrechtsaktivistinnen: Zurück auf Feld Eins?
Nein. Für uns ist diese Situation nichts Neues. Wir werden noch hartnäckiger daran arbeiten, der iranischen Regierung zu beweisen, dass wir Frauen haben, die fähig sind, Ministerinnen, ja, eines Tages sogar Präsidentinnen zu werden. Wir müssen unsere Politiker regelrecht trainieren, dies zu erkennen. Denn wenn ich mir die männlichen Minister ansehe, weiss ich nicht, was die getan haben sollen, was eine Frau nicht tun könnte. Genug ist genug!
In seiner ersten Amtszeit holte sich Rohani die Feministin Shahindokht Molaverdi als Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten an Bord. Was hat sie bewirken können?
Was soziale und rechtliche Reformen betrifft, leider nicht allzu viel. Hingegen hat sie es geschafft, Genderthemen publik zu machen und die Politiker damit herauszufordern.
Ein Beispiel?
Shahindokht Molaverdi verurteilte im Jahr 2015 das Verbot für Frauen, an öffentlichen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Kurz darauf gab sie bekannt, dass die Regierung die Anwesenheit von Frauen in Arenen für Volleyball-Spiele genehmigt hatte. Doch liessen Sicherheitsbeamte flugs verlauten, das Verbot sei nicht gelockert worden. Warum? Religiöse Hardliner hatten mit Gewalt gedroht, sollten Frauen Zugang zu den Stadien erhalten. Sie nannten weibliche Volleyballfans «Prostituierte» oder «Schlampen». Darüber hinaus verkündete die konservative religiöse Bürgerwehr Ansar-e-Hisbollah: «Wir wehren uns gegen die Legalisierung der Präsenz von Prostituierten in Sportstadien». Auch ältere Kleriker verurteilten den Vorstoss. Der Regierung blieb nichts anderes übrig, als klein beizugeben. Religionsführer Ali Khamenei und seine Gefolgschaft haben noch immer das letzte Wort.
Radfahrerin auf dem Imam-Platz in Isfahan
Aber allein die Tatsache, dass Rohani versucht, solche Verbote herauszufordern, zeigt, dass Gleichstellungsthemen trotz allem auf seiner Agenda sind.
Wir werden sehen. Als Rohani vor vier Jahren zum ersten Mal an die Macht kam, versprach er, ein Frauenministerium zu gründen, um Strategien und Programme umzusetzen, die Frauen gezielt fördern sollten. Im Moment existiert jedoch weder ein Plan noch ein Budget zur Sensibilisierung der Gesellschaft für Genderfragen. Ebenso wenig sind die Staatsausgaben für Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialhilfe erhöht worden.
Immerhin soll Rohani einen Mutterschaftsurlaub in Aussicht gestellt haben.
Das ist richtig. Er hat auch versprochen, Versicherungen für Hausfrauen einzuführen sowie Löhne für Frauen, die ohne die Unterstützung ihres Mannes dem Haushalt vorstehen. Diese Vorstösse sind zweilfelsohne sehr progressiv. Denn gemäss iranischem Gesetz sind die Männer für den Unterhalt ihrer Familie verantwortlich. Mittlerweile sind jedoch viele Frauen die alleinigen Ernährerinnen - Frauen, deren Einkommen oft kaum zum Leben ausreicht. Aus diesem Grund will man ihnen einen Lohn bieten, der ihnen das Überleben sichert. Und nicht erwerbstätige Frauen sollen grundsätzlich als Angestellte gelten und dementsprechend versichert werden. Aber wie gesagt, das sind Versprechen. Die müssen erst einmal in die Realität umgesetzt werden. Zudem ist noch immer nicht klar, was wirklich dahinter steckt: Will man mehr Frauen ermuntern, zu Hause zu bleiben, sie davon abhalten, das Haus zu verlassen? Oder jene Frauen unterstützen, die sich aus freien Stücken dazu entschliessen, Hausfrau zu sein?
Die weibliche Erwerbsquote im Iran liegt zwischen 13 und 15 Prozent, was zur Feminisierung der Armut geführt hat.
Über 65 Prozent der Studenten an iranischen Universitäten sind Frauen. Warum sollen sie nach ihren Hochschulabschluss zu Hause bleiben?
Sehen Sie, es gibt eine grosse Diskrepanz zwischen der iranischen Gesellschaft und der iranischen Regierung: Die Familien tun alles dafür, dass ihre Kinder, Söhne UND Töchter studieren. Wenn Sie im Iran nicht über einen Hochschulabschluss verfügen, haben Sie kaum Möglichkeiten auf einen Job. Berufsausbildungen, wie sie in Europa üblich sind, gibt es bei uns erst ansatzweise. Ja, wir haben mehr sehr gut ausgebildete Frauen als Männer. Doch hat es Rouhanis Verwaltung bis anhin nicht geschafft, die Erwerbstätigkeit der Frauen zu erhöhen. Die weibliche Erwerbsquote liegt zwischen 13 und 15 Prozent. Dies hat zur Feminisierung der Armut geführt. Das heisst, die meisten Menschen unterhalb der Armutsgrenze sind Frauen und Kinder.
Was sind die Gründe für diese tiefe Erwerbsquote?
Ein Grund ist pure finanzielle Diskriminierung. Letztes Jahr wurde zum Beispiel ein Gesetz erlassen, dass die Arbeitszeit für weibliche Beschäftigte mit «bestimmten familiären Verpflichtungen» bei gleichbleibendem Lohn von 44 auf 36 Stunden pro Woche reduziert. Begünstigt werden Frauen, die Kinder unter sieben Jahren haben, deren Kinder oder Ehemann behindert sind oder an chronischen Krankheiten leiden. Leider hält dieses Gesetz Arbeitgeber davon ab, betroffene Frauen einzustellen.
Das Familienrecht im Iran basiert weitgehend auf einer konservativen Interpretation der Scharia, dem religiösen Recht, das Teil der islamischen Tradition ist. Inwiefern ist die Scharia mitverantwortlich für die tiefe Erwerbstätigkeit der Frauen?
Sie ist der Hauptgrund. Die Scharia gibt den Männern mehr Rechte und kontrolliert die Frauen. Der Mann hat die Macht über jegliche Familienangelegenheiten, er kann seiner Ehefrau Erwerbstätigkeit und Reisen verbieten. Ich habe als Anwältin Frauen vertreten, die gute Positionen in Firmen innehatten, aber nach ihrer Heirat nicht mehr arbeiten durften. Der Ehemann sagte: «Es ist nicht gut für meine Frau zu arbeiten. Das verstösst gegen unsere Familienwerte.» Das Gericht gab ihm Recht: Die Frau musste zu Hause bleiben.
Eine Frau, der ich im Iran begegnete, sagte mir, dass sie sich wie eine Versagerin fühlt, weil sie als Mutter nicht einmal das Recht hat, für ihre Tochter einen Pass zu beantragen - dies, obwohl sie eine renommierte Professorin ist, geschieden, finanziell unabhängig.
Das ist der Punkt. Wir Frauen arbeiten heute als Ärztinnen, Anwältinnen oder Professorinnen - aber wenn es um grundlegende Familienangelegenheiten geht, wie das Sorgerecht für die Kinder, sind wir unmündig. Zudem können iranische Frauen, wenn sie mit einem Ausländer verheiratet sind, ihre Nationalität nicht an ihre Kinder weitergeben und benötigen noch immer die Erlaubnis ihres Vaters oder eines anderen männlichen Beistands, wenn sie heiraten wollen, egal, ob sie 24 oder 40 Jahre alt sind.
Flanieren auf dem Imam-Platz in Isfahan bei Sonnenuntergang
Allerdings soll es immer häufiger vorkommen, dass junge Paare in so genannten «weissen Ehen» leben. Das heisst, sie leben zusammen, ohne verheiratet zu sein.
Das gilt für Paare in Grossstädten. Sind Frauen finanziell unabhängig, wollen viele nicht mehr bei ihren Familien leben. Dasselbe gilt für Männer. Es gibt sogar geschiedene Frauen, die lieber mit ihrem Ex-Mann zusammen bleiben, als in ihr Elternhaus zurückzukehren, wie es die Tradition verlangt. Viele geschiedene Paare bleiben schlicht auch aus finanziellen Gründen in der gemeinsamen Wohnung. Trotzdem: Zusammenzuleben, ohne verheiratet zu sein, ist illegal.
Gut 80 Prozent der Iraner leben heute in Städten, die Lebensumstände haben sich, wie Sie sagen, verändert. Gibt es gar keine Anzeichen dafür, dass die Familiengesetze zugunsten dieser Veränderungen angepasst werden?
Zum Teil. So ist ein Gesetz verabschiedet worden, das es unverheirateten Frauen erlaubt, ein Kind zu adoptieren. Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Situation hat sich das durchschnittliche Heiratsalter für Frauen erhöht, viele sind mit 35 oder 40 Jahren noch immer ledig, wünschen sich aber ein Kind. Dieses Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Im Grossen und Ganzen aber bleibt die Rechtsordnung hinter diesen gesellschaftlichen Veränderungen zurück. Ein Zeichen dafür ist der obligatorische Hijab, der islamische Kopfschleier.
Es gibt sogar geschiedene Frauen, die lieber mit ihrem Ex-Mann zusammen bleiben, als in ihr Elternhaus zurückzukehren.
Einer der buchstäblich augenfälligsten Brennpunkte in der Diskussion um Frauenrechte.
Ja, viele Frauen tragen aus Rebellion dagegen häufig nur ein kleines Stück Stoff auf den Kopf - in den Augen der Regierung eine kriminelle Handlung. Sehen Sie, während des Schah-Regimes, gab es Frauen, die sich in den Tschador hüllten und solche, die kurze Kleider trugen. Damit hatte niemand ein Problem. Aber seit der Hijab nach der Revolution zur gesetzlichen Pflicht und der schwarze Tschador für weibliche Regierungsangestellte gar ein Muss geworden ist, sind jene Frauen, die sich nicht damit identifizieren können, einer fast unerträglichen Situation ausgesetzt. Eine junge Frau sagte mir, dass sie es hasst, zur Arbeit zu gehen, weil sie die ganze Zeit kontrolliert wird. Selbst wenn sie in ihrem Büro ist, ist sie gezwungen, ständig auf ihre Kleidung zu achten, auf ihren Hijab, auf ihr Verhalten. Das macht es ihr schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
12-Millionen-Metropole Teheran
Teheran hat eine pulsierende Kunstszene. Dementsprechend beliebt sind Vernissagen
Paradoxerweise war unter Reza Shah, dem Vater von Mohammad Reza Shah, jegliche Verhüllung verboten. Dies hatte zur Folge, dass viele Frauen, die den Schleier als religiöse Pflicht empfanden, das Haus gar nicht erst verliessen. Iranische Führer haben ihre Ideologie also stets mit einem Bekleidungsregime für Frauen untermauert.
Das ist richtig. Jedes Regime hat Frauen für seine politischen Zwecke benutzt. Reza Shah hatte mit den Verhüllungsverbot zwar zum Ziel, Frauen im gesellschaftlichen Leben zu fördern, erreichte damit aber das Gegenteil, weil er den Widerstand von religiösen und traditionellen Gruppen auf den Plan rief. Kurz: Weder Reza Shah noch sein Sohn haben die Rechte der Frauen grundlegend verbessert. Dies, nicht etwa weil sie den Widerstand der Kleriker fürchteten, sondern weil ein breiter Konsens darüber herrschte, die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu bewahren.
Touristinnen, die den Iran bereist haben, betonen oft, dass sie den Hijab nicht als besonders störend empfunden haben. Was sagen Sie dazu?
Ich weiss. Westliche Besucher erklären mir immer wieder: «Iranische Frauen müssen ihre Haare bloss mit einem Schal bedecken, das ist doch kein grosses Problem.» Aber wenn jemand gezwungen ist, den Schleier zu tragen, ist ein grosses Problem. Denn er ist nicht einfach ein Stück Textil, sondern ein Mittel, um den Geist und die Bewegungen der Frauen zu kontrollieren.
Ermahnung zu Verhüllung vor einer Moschee
Viele Iranerinnen sagen, der Hijab sei nicht das vordringlichste Anliegen auf ihrer Agenda. Die Erwerbsquote der Frauen oder die Erhöhung der Gehälter seien wichtiger. Ihre Meinung?
Als ich im Iran lebte, dachte ich sogar ähnlich. Für mich standen die Beseitigung diskriminierender Familien- und Strafgesetze im Vordergrund, einschliesslich der Polygamie oder der Tatsache, dass für das Leben einer Frau weniger Blutgeld bezahlt werden muss als für einen Mann. Ich dachte, wir könnten den Hijab vielleicht tolerieren, wenn wir in der Gesetzgebung gleichberechtigt sind. Aber dieser Gedanke ist trügerisch. Der Kampf gegen das Hijab-Obligatorium ist ebenso wichtig wie der Kampf gegen alle anderen diskriminierenden Gesetze.
Der Schleier ist nicht einfach ein Stück Textil, sondern ein Mittel, um den Geist und die Bewegungen der Frauen zu kontrollieren.
Eine schwedische Delegation, die im Februar den Iran besuchte, hat viel Kritik einstecken müssen, weil die weiblichen Mitglieder Kopftuch trugen, um, wie sie sagten, die Verhandlungen mit den iranischen Kollegen nicht zu gefährden. Sollten sich westliche weibliche Delegationsmitglieder verhüllen oder nicht?
Da in ihren Ländern die Verschleierung weder Tradition noch Gesetz ist, sollten sie im Prinzip frei entscheiden können. Ich finde jedoch: Wird die Hälfte der Bevölkerung eines Landes systematisch diskriminiert, sollte das angefochten werden. Wenn ausländische Politiker sagen: «Das ist halt die Kultur, das Gesetz des Iran, das müssen wir respektieren», ignorieren sie das Recht der iranischen Frauen auf Selbstbestimmung unter dem Vorwand des Kulturrelativismus. Das bringt uns nicht weiter. Wir leben in einer globalisierten Welt, da können wir vor Menschenrechtsverletzungen nicht einfach die Augen verschliessen.
Besucherin eines ehemaligen Hamams in Kashan
Einer der schnellsten Wege, diffamiert zu werden oder gar ins Gefängnis zu kommen, ist, öffentlich gegen das Kopftuch zu demonstrieren. Fürchten die Kleriker, ihre Macht zu verlieren?
Genau. Stellen Sie sich vor, man würde die Iranerinnen vom Kopftuch befreien - wie würde sich Teheran dann von Rom oder New York unterscheiden? Gar nicht. Der Iran aber ist die «Islamische Republik». Wie will sie ihr «islamisches» Merkmal bewahren? Über die Kontrolle der Frauen.
Wie meinen Sie das?
Die iranische Verfassung versteht Frauen und Familie als zwei spezifische Charakteristiken der islamischen Nation, die Familie ist als Kern der iranischen Gesellschaft in der Verfassung verankert. Und der zentrale Teil der Familie sind Frauen, die Mütter. Somit gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Frauen und der islamischen Nation. Durch die Kontrolle der Frauen mithilfe Scharia-basierter Gesetze und des Hijabs wird dieses Gebilde aufrechterhalten. Mit anderen Worten: Frauen sind die einzigen sichtbaren Wesensmerkmale dieser islamischen Regierung.
Frauen sind also sozusagen die Säulen der islamischen Republik?
Ja. Deshalb ist die Angst gross, dass das System auf den Kopf gestellt wird, sollten Frauen die Gesetze verändern. Deshalb werden Gleichstellungsfragen schnell als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen.
Alles, was Sie tun, kann in den Kontext der Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der Störung der öffentlichen Ordnung gestellt werden. Deshalb ist es für Frauenrechtsaktivistinnen wichtig, bei ihrer Arbeit die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und und sich weder an Demonstrationen noch öffentlichen Aktionen zu beteiligen.
Die Islamische Republik sieht davon ab, die Wirtschaft zu islamisieren, und nichts deutet darauf hin, dass ihr dieser Verzicht Mühe bereitet. Denn die schiitischen Gelehrten vertreten das Prinzip der «dynamischen Rechtsfindung», die auf aktuelle gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse Rücksicht nimmt. Im Prinzip könnten der Iran die Stellung der Frau verbessern, ohne von seinen Prinzipien wegzukommen.
Natürlich. Frauenrechtlerinnen haben ihre Forderungen nach Gleichstellung stets mit der dynamischen Rechtsfindung begründet. Aber die Kleriker beharren auf einer dogmatischen Interpretation des Islam. Ein Beispiel dazu: Während das iranische Parlament die CEDAW, die Konvention für die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, ratifiziert hat, lehnten die Religionsführer sie ab. Sie erklärten, die Konvention sei gegen die islamischen Prinzipien.
Wie werden «islamische Prinzipien» definiert?
Das ist der Punkt. Es existiert keine Definition dafür - weder in unserer Verfassung noch in irgendeinem unserer Gesetze. Dafür ist die Palette der Interpretationen umso breiter. So kann alles, was Sie tun, in den Kontext der Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der Störung der öffentlichen Ordnung gestellt werden. Deshalb ist es für Frauenrechtsaktivistinnen wichtig, bei ihrer Arbeit die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und und sich weder an Demonstrationen noch öffentlichen Aktionen zu beteiligen. Denn das ist gefährlich.
Frauen im Iran wollen keine weitere Revolution mehr, sondern Reformen.
Ja. Wir wollen das Regime nicht ändern, wir wollen es voranbringen. Wir haben Revolutionen, Kriege und Aufstände durchgemacht. Das reicht. Reform ist der einzige Weg, um der Demokratie den Weg zu eben. Übrigens, die Schwedische Delegation, die Sie erwähnt haben, bestand mehrheitlich aus weiblichen Mitgliedern. In der iranischen Delegation hingegen, war keine einzige Frau vertreten. Das sorgte im Iran für hitzige Debatten. Ich hoffe, dass jetzt genauso hitzig über die neue Männer-Regierung debattiert wird.
Abends wird einer der Prachtsstrassen Teherans farbig beleuchtet. Die Fragen wechseln von Rot, über Grün nach Violett
Leila Alikarami (40) war zurzeit der Islamischen Revolution ein Jahr alt, erlebte den Iran-Irak Krieg, studierte Rechtswissenschaften an der Tehran University und begann in der Ära Mohammad Khatami als Anwältin zu arbeiten. Während der Präsidentschaft Mahmoud Ahmadinejads vertrat Leila Alikarami Frauenrechtsaktivistinnen in den Revolutionsgerichten und engagierte sich 2009 für die «One Million Signatures»-Kampagne, eine Unterschriftensammlung, die gegen frauendiskriminierende Gesetze kämpfte. In der Folge war sie gezwungen, das Land zu verlassen. Im selben Jahr wurde sie mit dem Menschenrechtspreis für Frauen, dem «RAW in War Anna Politkovskaya Award», ausgezeichnet. Leila Alikarami lebt in London. Sie schliesst eine Rückkehr in den Iran nicht aus. Der Iran liegt im Global Gender Report, dem jährlichen Gleichstellungsbericht der Weltbank, auf der Skala von 144 Ländern auf Platz 139.
Dieses Interview ist in gekürzter Form im Tages-Anzeiger erschienen. Das Interview mit Leila Alikarami wurde telefonisch geführt.
Manon Schick, Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International hat in ihrem Buch Commander le livre «Mes héroïnes: des femmes qui s’engagent» (Favre, 2017) ein grösseres Porträt über die Menschenrechtsanwältin veröffentlicht.
Drei Damen auf dem Boden eines Brunnens. Gesehen an einer Tankstelle auf dem Weg nach Teheran